Mit Volldampf voraus!

Beitrag aus der Mitgliederzeitung bwsb-forum (Ausgabe vom Dezember 2022)
https://bw-saengerbund.de/mitglieder/mitgliederzeitung.html

Wie auf dem Boden Corona-geschädigter Pläne der Mut zu Neuem und ungeahnter Motivation wuchsen

Der Jazzchor Stuttgart in Aktion, draußen und drinnen, mit Maske und ohne, getestet und selber Testzentrum.

Kaum etwas hat Corona so über den Haufen geworfen wie den Chorgesang. Trotz allem aber können wir resümieren: ein kurios-famoses und spannendes Jahr liegt hinter uns. Zwischen all den Unsicherheiten, der Angst, dem Gräuel, dass unser Drumrum schüttelte, suchten und fanden wir Wege, Musik in die Welt zu schicken. Mit unserem Projekt „Lips unlocked“ widmeten wir uns der allgewaltigen Herausforderung, unser Chorleben in einer Pandemie weiterzuführen, und haben nahezu alles darangesetzt, nach außen ein gutes Beispiel, eine Ermutigung zu sein. Das Ganze auch Dank der großen Unterstützung des Bundesmusikverbands Chor und Orchester e.V. (BMCO) sowie des Baden-württembergischen Sängerbunds (bwsb).

Ideen? – Ahoi!

Zum Jahresbeginn 2020 strotzten wir vor Tatendrang. Ein Projekt reihte sich an das andere: Im März Konzertformat ,West Voices“, dann unsere Neue-Musik-Kooperation mit der Musikhochschule, Jodeln im Lehen und weiter ein Coaching-Chor-Wochenende mit Felix Powroslo. Im Mai unser Auftritt beim Bürgerfest West, im Frühsommer unsere Tournee nach Lübeck, im September Konzert mit Senior Jazzchor Freiburg. 2022 startete in puncto Vorhaben nicht anders: Der Jazzchor Stuttgart als ein gelisteter Act bei „Total Choral“ im Frühjahr in Berlin, das von uns mit befreundeten Chören erdachte Wanderkonzert „4 Chöre 4 Plätze“. Ahnen Sie es? Genau: Geplant – geplatzt! Wir warteten tagesaktuell Coronabestimmungen ab, um auf der sicheren Seite zu sein, und mussten canceln. Denn in allem wollten wir auf Nummer sicher gehen; für uns, für die Gemeinschaft.

Unser Lockdown Logbuch

Lockdown – oh Schreck! Und jetzt? Zunächst nahmen wir im Lockdown Kontakt über Zoom auf, trafen uns zum Erzählen. Doch schon bald war da der Wunsch, zusammen zu singen. Digital. Christiane Holzenbecher, Chorleiterin unseres 25-stimmigen Ensembles, stattete sich mit neuer Hardware aus: Audiointerface und Vocal-Processor, um beispielsweise als weibliche Stimme auch einen Bass einsingen zu können; möglich durch technisch gesteuerte Oktavierung. Bald schon rüsteten Sängerinnen und Sänger des Jazzchors auf und trafen sich in kleinen Formationen via Jamulus, einer freien Software für Probe- und Jam-Sessions. Als der Frühling sein blaues Band ließ, waren wir mutig und kamen zum Proben in Feld, Wald und Flur zusammen – selbstverständlich mit Abstand. Für diese Form des Zusammmensingens wurden ein bluetoothfähiges Keyboard und eine Bluetoothbox sowie weitere akkubetriebene Geräte angeschafft.

Irgendwann mittendrin durften wir zu Präsenzproben zusammenkommen. Abstand war vorgeschrieben, außerdem sollten genügend Lüftungsmöglichkeiten vorherrschen. Zum besseren Hören nutzten wir die Chance, das Singen mit Mikrofon zu üben. Mit Hilfe der Förderung kauften wir zusätzliche Mikrofone. Trotz der Widrigkeiten um uns: es war für alle eine zugleich lehrreiche und fortbildende Erfahrung.

Die Förderung und wir – oder andersrum?

Mitte März 2021 wird Chorleiterin Christiane Holzenbecher auf das Förderprogramm „… zur Erhaltung und Wiederbelebung der Amateurmusik in Pandemiezeiten“ aufmerksam, Einreichungsfrist 31. März. Fehlt nur noch das Konzept: Kleinigkeit! Doch recht schnell wird der Titel „Lips unlocked“ unser Mantra! Wir haben einen Plan und möchten mit einem Partner zusammenwirken. Es startet eine wilde Telefoniererei mit Chören in ganz Deutschland: Berlin, Lübeck, Konstanz. Niemand getraut sich eine Zusage zu machen. Schnell steht fest: Wir werden den Antrag allein stellen müssen. Wir überlegen Zeitpläne und füllen diese mit unseren Gedanken. Klar, das Ganze wird sportlich, aber ist machbar. Kurz vor knapp können wir unser mehr als umfangreiches Papier an den BMCO senden. Warten. Im Juli dann: Liebe Chorros, gute
Neuigkeiten! Pünktlich zu unserem alljährlichen Sommerfest auf der Karlshöhe hat sich der BMCO nach fernmündlichem Hin und Her entschlossen, unser Projekt „Lips unlocked“ zu fördern. Wortlaut: „Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) hat eine Aufstockung der Mittel bewilligt, und wir möchten Sie und Ihr geplantes Projekt gerne mit in das Förderprogramm aufnehmen!“ – Yeah!

Alles auf neu!

Unsere Projektziele gliederten sich allgemein in drei Handlungsfelder: Neustart, Beziehungen und Sichtbarkeit. Neustart, als Chor, un-locked-down, im neuen Normal, aufgeschlossen gegenüber einer digitalen Welt, um unser musikalisches Niveau zu halten und auszubauen. Wir wollen Beziehungen pflegen, untereinander, zu vermissten Altmitgliedern, zu befreundeten Chören, zu unserem Sängerbund, zu unserem Publikum und unseren Followern. Wir wollen Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Spürbarkeit. Doch irgendwie wird es schwierig. Unser Auftakt „4 Chöre 4 Plätze“ und auch eine Konzerttour nach Berlin werden wegen strengerer Corona-Richtlinien gestrichen. Wir denken um, und richten unser Augenmerk auf Film- und Audioaufnahmen sowie die Arbeit mit einem Choreographen. Parallel werkeln wir an unserer Website und einem Instagram-Kanal. Im Dezember wird der Jazzchor Stuttgart Corona-Testzentrum. Um für alle Sängerinnen und Sänger die höchste Sicherheit und das benötigte Vertrauen zu gewährleisten, ließen wir uns mit Unterstützung des BMCO zum COVID-Testzentrum ausbilden. Überdies wurden wir von unserem Dachverband, dem Baden-Württembergischen Sängerbund, mit Raumlüfter und C02-Ampel gefördert. Wir sangen mit Abstand, nutzten zum besseren Einander-Hören Mikrofone; zwei Outdoor-Lautsprecher, die ebenfalls vom bwsb gefördert wurden, sorgten für den Klang.

Swoopen, swirlen – Lips unlocked!

In den vergangenen Monaten haben wir viel, viel, viel geschafft: Im März gestalteten wir ein Benefizkonzert mit dem Offenen Chor des Musikwerk Stuttgart in der Stuttgarter Innenstadt für den Frieden in der Ukraine, wir sangen beim „Bürgerfest West“, absolvierten ein Techniktraining mit der Tontechnikerin Lisa Bodenseh, fuhren im Frühsommer an den Bodensee zum Probenwochenende mit dem britischen Coach und ExKing’s Singer Philip Lawson, drehten
anschließend mit der Filmagentur .,Fülmbüro“ aus der Hasenbergstraße Videosequenzen, trafen uns vor den Sommerferien zu professionellen Audio-Aufnahmen und feierten ein großartiges „Sommer in der Stadt“, unserem experimentellen Wandel-Konzert und absolutem Höhepunkt des geförderten Projekts „Lips unlocked“.

Wir sind mehr denn je ZUSAMMENER!

Jeden Schritt, den wir tun, alles was wir uns erarbeiten: es tut verdammt gut! Der Chor existiert weiter, wir sind ein positi ver Motivator und erfüllender Treffpunkt. Ob zur regelmäßigen Probe, zu Sonderproben, Audio- oder Filmaufnahmen, Engagements, Konzerten – es war und ist immer Begeisterung und Freude, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Der Grundgedanke des menschlichen Zusammenkommens steht genauso im Mittelpunkt wie die konzentrierte und stringente musikalische Arbeit mit unserer Chorleiterin und Gast-Coaches.

Die Förderung hat wirkungsvolle Bewegung und Motivation gebracht. In einer Angstsituation (Corona) handeln zu können und durch die Förderung zum Tun animiert zu werden, hat uns dabei geholfen, eine Art Ohnmacht, auch über die Grenzen der Hobbyarbeit hinaus und in den individuellen Privatbereich hinein, zu überwinden. In Teamwork haben wir sowohl die Ziele definiert, den Antrag gestellt, unsere Proben bestmöglich coronagesichert, unsere Inhalte umgesetzt und musiziert. – Wir sind so dankbar!

Im nächsten Schritt wollen wir weitere Handlungsfelder, diesmal nach innen, eröffnen. Der BMCO hat uns im Rahmen von Neustart Amateurmusik ein weiteres Projekt bewilligt. Wir planen eine Zukunftswerkstatt und den Launch einer Mitgliederkampagne mit unserem neuen Projekt „New Lips on the Block“.

Wir sind gespannt! Sie auch?

Text: Susan Kreienbrink und Hannah Böhrk
Fotos: M. Vandiver, N. Schaffernicht, S. Kalleske, S. Kreienbrink